Von Lara Alberti, Friede Geesen, Huan Liu und Xiaoyu Shi

Daniela Dröscher, geboren 1977 in München und aufgewachsen im Hunsrück, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Trier und London. Nach ihrer Promotion studierte sie Szenisches Schreiben in Graz. Im Jahr 2009 erschien ihr erster Roman „Die Lichter des George Psalmanazar“. Auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte es 2022 ihr Buch „Lügen über meine Mutter“. Nun lebt sie mit ihrer Familie in Berlin.

Trotz ihres Geburtstags hatten wir am 4. Juni die Möglichkeit, ein spannendes Interview mit Daniela Dröscher über ihren Roman „Lügen über meine Mutter“ zu führen. Es sei für sie ganz typisch an ihrem Geburtstag zu arbeiten, dennoch freute sie sich sehr über das Geburtstagslied, mit dem wir ihr via Zoom gratulierten.

Frau Dröscher sprach mit uns offen über die immer wiederkehrende Frage nach dem Wahrheitsgehalt ihres autobiographischen Romans. Am wohlsten fühle sie sich zu sagen, dass zumindest der Kern der Geschichte wahr sei. Demnach gibt es manchmal ganze Szenen oder Sätze, welche eins zu eins aus ihrer Kindheit übernommen wurden, andererseits aber auch erfundene Passagen und Personen. Wichtig war für sie, vor dem Schreiben des Romans das Einverständnis ihrer Mutter eingeholt zu haben. Bis heute möchte sie mit diesem Einverständnis verantwortungsvoll umgehen und ist gleichzeitig froh und erstaunt, wie viele Leserinnen und Leser sich mit der Mutter identifizieren. Sie ist die „heimliche Heldin“ des Romans.

Ausführlich haben wir über die doppelte Erzählperspektive im Roman als Kind und Erwachsene gesprochen. Für Daniela Dröscher habe das Schreiben aus Sicht eines Kindes mühelos funktioniert, sie schätzte das unzuverlässige Erzählen-können aus Kinderaugen. Denn sie hat nicht nur selbst zwei Kinder, sondern erinnert sich auch sehr plastisch an ihre eigene Kindheit. Erst im Gespräch mit Leser*innen ist ihr bewusst geworden, dass sich nicht jeder so gut an seine Vergangenheit erinnern könne und sie offenbar ein Talent dazu habe, aus der Erinnerung heraus zu schreiben. Doppelt war auch ihr „Drama mit dem Dialekt“, den sie im Roman insbesondere der Großmutter väterlicherseits zuschreibt. Während sie als Kind bemüht war, genau wie die anderen Kinder im Dialekt zu sprechen, lehnte sie diesen später als Jugendliche vehement ab. Diesen Sprachwechsel fassten einige Personen in ihrem Umfeld als Distanzierung auf, für sie selbst kam er einem Identitätswechsel gleich. Umso wichtiger war ihr, dass ihre Großmutter den Dialekt auch im Roman spricht.

Sprachsensibel geht sie auch mit spezifischen Wörtern um, die im Deutschen zur Beschreibung eines dicken Körpers genutzt werden können. Ihr sei schnell aufgefallen, dass es ihr an der passenden Sprache mangele, die Wörter entweder zu hart oder zu freundlich klangen: fett oder übergewichtig. Daher plädiert sie dafür, das Wort „dick“ zurückzuerobern und es wieder für eine möglichst wertfreie Beschreibung zu verwenden.

„Lügen über meine Mutter“ entwirft keine Utopie, sondern möchte so etwas wie literarische Gerechtigkeit schaffen. Daher hätte Daniela Dröscher den Roman niemals ohne Positionierung und „unparteiisch“ schreiben können. Sie ergreift Partei für ihre Mutter, die individuell und stellvertretend für die Situation von Frauen in den 80er Jahren in (West)Deutschland dargestellt wird. Noch heute stehen Frauen den erzählten Herausforderungen gegenüber. Themen wie Ehegattensplitting, Gender-Pay-Gap, Aufteilung der Pflegearbeit von Familienmitgliedern und Bodyshaming bleiben aktuell.

Wir bedanken uns bei Daniela Dröscher für das interessante Interview und freuen uns bereits auf das Interkulturelle Lesergespräch am 8. Juli um 19:30 Uhr in der Galerie Alte Feuerwache (Ritterplan 4), an dem wir unser Gespräch gemeinsam mit der chinesischen Autorin Zhu Jing fortsetzen.

Alle Interessierten sind dazu herzlich eingeladen.